In diesem Draft schildert der Schriftsteller und Stratege Tim Leberecht seine Begegnung mit dem Bestsellerautor und Coach Michael Bungay Stanier und untersucht, wie Konflikt, Risiko und kreative Spannung neue Ideen fördern. Erfahren Sie anhand dieser Erkenntnisse, wie Sie mehr Kreativität in Ihr Leben bringen können.
In Search of Inspiration
A Pullman Draft is an idea. A provocation. A spark for conversation and an invitation to think differently. Welcome to Pullman Drafts, a series of personal reflections with the House of Beautiful Business, featuring bold voices from business, culture, media, and technology.
27 August 2025
weniger als einer Minute
Manche Tage sind lang. Und dann gibt es Tage, die so endlos und anstrengend sind, dass sich Ihr Gehirn wie ein überfüllter Handgepäckkoffer anfühlt, der in der Economy Class eines turbulenten Transpazifikflugs herumklappert. In diesem mentalen Zustand befand ich mich nach dreizehn Stunden TED Talks in Vancouver im Jahr 2019.
Es war die Suche nach neuen Stimmen und unkonventionellen Perspektiven, die mich nach Vancouver geführt hatte. Mein Unternehmen House of Beautiful Business steckte noch in den Kinderschuhen, und ich musste Sprecher für unser bevorstehendes Festival zum Thema lebenszentrierte Wirtschaft finden – ein unternehmerischer Ansatz, der sich auf Nachhaltigkeit, Inklusion und Kreativität konzentriert. TED versprach, ein wahres Paradies dafür zu sein. Der perfekte Ort, um die Quer- und Vordenker von morgen zu treffen und kennenzulernen. Als die Konferenz zu Ende ging, war ich jedoch nicht mehr dazu in der Lage, mit irgendjemandem ein vernünftiges Gespräch zu führen. Es hatte nichts mit den Rednern zu tun. Alle waren ausgezeichnet. Es war lediglich ein Ausdruck meines überstimulierten Kopfes, der sich nach einem Tag, an dem ich Unmengen an Informationen verarbeiten musste und dabei kein Tageslicht gesehen hatte, in den Ruhemodus geschaltet hatte.
In diesem vernebelten Zustand begab ich mich in die Lobby und stand plötzlich neben einem Fremden, der genauso erschöpft aussah wie ich mich fühlte. Er war groß wie ein Basketballspieler, trug eine riesige Brille und ein auffälliges Hawaiihemd und stach aus der Menge heraus. Ich ging nach draußen, um frische Luft zu schnappen, und da begegnete ich diesem Fremden schon wieder: Wir hatten es geschafft, uns an die gegenüberliegenden Enden derselben Bank zu setzen, mit Blick auf die spektakulären North Shore Mountains der Stadt. Wir sprachen beide eine ganze Weile lang kein Wort. Als wir dann schließlich zu reden begannen, geschah das nicht, um uns vorzustellen oder zu erzählen, was wir beruflich machen. Wir kommentierten das Licht, den Himmel und die Schatten, die mit Einbruch der Dämmerung verschwanden. Wir verspürten eine tiefe Ruhe in uns und eine Verbundenheit mit unserer Umgebung. Mir wurde bewusst, dass ich mich den ganzen Tag über nicht annähernd so inspiriert gefühlt hatte wie in diesem Moment.
Michael Bungay Stanier und ich schlossen schnell Freundschaft. Michael war bereits ein renommierter Executive Coach, dessen Bestseller „The Coaching Habit“ Lesern auf der ganzen Welt seine Methode eines von Neugier angetriebenen Führungsstils nähergebracht hatte. Wir beide fanden die Ironie der ganzen Situation äußerst amüsant: Ein Tag mit sorgfältig geplantem „Inspirationsprogramm“ wurde von etwas frischer Luft und dem Blick auf die Berge übertrumpft. Für mich war diese Erfahrung eine Art Offenbarung. Für Michael war die Ironie weniger überraschend. Er war bereits bestens damit vertraut, dass Inspiration ganz eigenen Regeln folgt.
Eine Geschichte über schwarzen Whiskey
Mitte der 1990er Jahre, lange bevor TED Talks populär wurden, war Michael Mitglied eines Consulting-Teams, das innovative Wege zur Vermarktung neuer Produkte und Dienstleistungen fand. Das Team wurde von einem schottischen Whiskyhersteller engagiert. Man könnte sagen, es war ein Kunde, der das richtige Produkt zur falschen Zeit verkaufte. Die 90er Jahre waren das Jahrzehnt der Alkopops und Wodka-Mixgetränke. Weder Scotch noch die gälischen Brennereien mit den schwierig auszusprechenden Namen, aus denen er stammte, schienen besonders angesagt zu sein. Damit Scotch sich verkaufen würde, musste er sein Image als Getränk für ältere Herren ablegen und für moderne Verbraucher attraktiv werden.
Michael wusste, dass sein Team eine geniale Idee brauchte. Das Resultat: „schwarzer Whiskey“, der erste kohlefarbene Scotch der Welt. Die Hoffnung war, dass seine ungewöhnliche Farbe und seine geheimnisvollen Zutaten eine ganz neue Generation von Scotch-Fans hervorbringen würden. Der Kunde war von der Kühnheit und Originalität des Konzepts begeistert, und 1996 kam Loch Dhu (gälisch für „schwarzer See“) in den Handel.
Die Whiskey-Fans unter Ihnen wissen jetzt wahrscheinlich schon, wie die Geschichte weitergeht. Der Scotch war kein Erfolg. Von Kunden verspottet und von Kennern verpönt, wurde die Produktion bald eingestellt und die Flaschen verschwanden schnell aus dem Handel. War die Inspiration also ein Irrtum? Michael fand das nicht. Ihm vermittelte diese Erfahrung eine grundlegende Wahrheit über das Wesen der Inspiration. Um sich für Inspiration zu öffnen, muss man das Risiko eingehen, Fehler zu machen.
Seien Sie nicht zu kritisch
Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie keinen Einfluss auf Ihre Inspiration haben, gibt es dafür tatsächlich wissenschaftliche Belege. Die medizinische Bildgebung hat gezeigt, dass das Potenzial, inspiriert zu werden, in unserem Gehirn schlummert, jedoch aktiviert werden muss. Das kann auf viele verschiedene Arten geschehen – von einer schönen Melodie bis hin zu einer wunderschönen Aussicht, von einem dreiminütigen, herzzerreißenden Dialog in Ihrer Lieblingsserie auf Netflix bis hin zum Lichtspiel auf dem Balkon vor Ihrer Küche. Wir können nicht wissen, wann oder warum sie kommt. Wir können lediglich offen für den Impuls bleiben und ihn ohne Wertung willkommen heißen, wenn er auftaucht.
Es gibt jedoch Möglichkeiten, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen. Michael geht sehr viel spazieren. Wenn er in der Natur unterwegs ist, versetzt ihn das in einen Zustand der Ruhe und Gelassenheit, und der Tag verblasst. Wenn ich mich psychisch erholen möchte, ziehe ich Filme und Galerien vor. Ich glaube nicht, dass ich jemals eine Galerie verlassen habe, ohne eine neue Leichtigkeit im Herzen zu spüren – den Hauch einer neuen Idee. Meine Partnerin liest extrem viel. Ein wunderschön formulierter Satz, der ein Gefühl ausdrückt, das sie kennt, aber noch nie in Worte fassen konnte, löst bei ihr bisweilen eine Kettenreaktion der Kreativität aus.
Ihr eigener Inspirationsmodus sieht möglicherweise völlig anders aus. Manche Menschen sind am kreativsten, wenn ihr Geist aktiv und beschäftigt ist, während andere eine Art Ablenkung benötigen, um ihre Kreativität anzuregen. „Geistesblitze unter der Dusche“ sind ein klassisches Beispiel dafür. Bestimmt hatte jeder von uns schon einmal eine unerwartete Idee, als wir gerade dabei waren, uns die Haare zu waschen. Manche Menschen brauchen Kontraste, um ihre Vorstellungskraft anzuregen. Der Schock einer neuen Umgebung oder Erfahrung kann uns aus unserer Routine herausreißen und eine kreative Kollision zwischen Gewohnheit und Unbekanntem auslösen, die alles Vertraute lebendig, anders und verändert erscheinen lässt. Tatsächlich sind kreative Begegnungen oft der Kern der Inspiration. Wenn wir aufhören, unser Leben in Schubladen zu stecken, und beginnen, die konzeptionellen Mauern zwischen Arbeit, Freizeit, Reisen, Familie, Gemeinschaft, Kultur und dergleichen mehr einzureißen, öffnen wir uns für neue Räume. Diese Räume schaffen Platz für verschiedene Teile unserer Persönlichkeit, die miteinander in Kontakt treten können, was eine faszinierende Alchemie aus Gedanken, Gefühlen und Ideen auslösen kann. Diese Alchemie ist der Nährboden für Inspiration.
Michael hat nur eine einzige feste Regel, wenn es darum geht, sich für Inspiration zu öffnen: Nicht zu kritisch sein. Nichts kann Kreativität so unwiderruflich sabotieren, wie eine zu frühe Wertung. Er stellt sich Inspiration als eine Art verschlüsselten Dialog zwischen unserem bewussten und unserem unbewussten Verstand vor. „Ich sehe, wie sich ein Portal öffnet und ein tiefgreifendes Gespräch beginnt“, erklärt er mir. „Das Schlimmste, was man tun kann, ist, es zu unterbrechen. Inspiration ist nicht dasselbe wie Problemlösung. Man kann nicht direkt mit der Bewertung der Umsetzbarkeit beginnen oder den Advocatus Diaboli spielen. Man muss dafür sorgen, dass dieser Kanal geöffnet bleibt. Inspiration hat etwas Heiliges an sich, das unsere Geduld und unseren Respekt erfordert“, sagt er.
Außerdem ist das Leben voller Wendungen, ruft mir Michael in Erinnerung. Es gibt übrigens noch ein sehr amüsantes Nachwort zu seiner Geschichte mit dem schwarzen Whiskey. Da das Getränk so kurz nach seiner Markteinführung wieder aus den Regalen genommen wurde, erlangte es einen fast mythischen Status. Unter Kennern auf der ganzen Welt kursierten alle möglichen Gerüchte. Diejenigen, die den Scotch probiert hatten, erzählten Horrorgeschichten. Und diejenigen, die ihn nicht probiert hatten, hörten mit Neid und Bestürzung zu. Die schwindenden Bestände verliehen den Flaschen einen besonderen Wert und machten sie mit der Zeit zu Sammlerstücken, die zu Preisen gehandelt wurden, die ihren ursprünglichen Wert um ein Vielfaches überstiegen. Heutzutage hat schwarzer Whiskey eine regelrechte Kult-Anhängerschaft.
Was ist das Fazit dieses Drafts?
Inspiration ist kurzlebig, aber die Geschichte ist lang. In diesem Sinne versuche ich in letzter Zeit, mehr Kreativität in mein Leben zu bringen. Es ist immer eine Frage der Balance. Man kann einen Geistesblitz nicht erzwingen oder seine Vorstellungskraft mit Gewalt in Bewegung bringen. Unser Verstand ist ein unverbesserlicher Rebell. Stattdessen öffne ich mich neuen Impulsen und Anregungen, indem ich einige Techniken anwende, die mir helfen können, mich ganzheitlich weiterzuentwickeln und zu verändern. Und hier sind sie:
Über den Autor
Michael Bungay Stanier ist ein preisgekrönter Autor, Lehrer und Redner. Er ist vor allem für sein 2016 erschienenes Buch „The Coaching Habit“ bekannt, in dem er Millionen von Lesern seine Methode eines auf Neugier basierenden Führungsstils nähergebracht hat. Er ist der Gründer und ehemalige CEO von Box of Crayons, einem renommierten Schulungs- und Entwicklungsunternehmen, und hat auf großen Konferenzen in aller Welt Vorträge gehalten.
Tim Leberecht ist Mitbegründer und Co-CEO von House of Beautiful Business, dem Netzwerk für eine lebenszentrierte Wirtschaft. Er ist Autor der Bücher „The Business Romantic“ (2015), „The End of Winning“ (2020) und des in Kürze erscheinenden „Picky: How the Superpower of Curation Can Save the World“ (2026). Seine beiden TED-Vorträge haben Millionen von Menschen gesehen.